INTERVIEW mit Eva-Maria Blechinger (August 2002)

Redaktion: Herr Magister Schwertberger, wie war Ihr künstlerischer Werdegang?

Gerald Schwertberger: Mit 9 Jahren habe ich ein Klavier aus dem Erlös eines ererbten Ackers bekommen, meine Volksschullehrerin hat mir den ersten Unterricht gegeben. Später hat mich Prof. Otto Kral an der Lehrerbildungsanstalt St. Pölten gratis (und streng) unterrichtet. Aber statt zu üben, habe ich experimentiert und improvisiert, und bald begann ich die Sachen aufzuschreiben. Die meisten Stücke waren kleine Walzer oder frei nach Mozart, Schubert, Chopin und Gershwin komponiert. Im Radio entdeckte ich auf Kurzwelle den amerikanischen Truppensender AFN, dort lernte ich erstmals Jazz, von Swing bis modern, kennen.

Als 17jähriger spielte ich beim Polizeitanzorchester in St.Pölten Kontrabass, und bei einer Berufsinformationsveranstaltung begeisterte mich Professor Josef Dichler für den Beruf eines Musikerziehers. So studierte ich zu erst Geschichte und Deutsch, dann aber – statt Geschichte - Musikpädagogik an der Wiener Hochschule für Musik. Ich lernte privat, am Konservatorium der Stadt Wien sowie im Rahmen meiner Ausbildung verschiedene Instrumente, spielte Jazz und verdiente mit Tanzmusik. Mit dem Einstieg in den Schuldienst unterrichtete ich Deutsch, Musikerziehung und 11 Jahre auch Gitarre. Für den Unterrichtsgebrauch komponierte und komponiere ich Stücke, die Schüler und Publikum ansprechen. Vor allem seit meinem achtjährigen Aufenthalt in Lateinamerika beschäftige ich mich intensiv mit lateinamerikanischer Musik, ich arbeite an einer Liedsammlung und schreibe deutsche Texte. All das führt natürlich auch dazu, dass man daraus Stilmittel und Anregungen bezieht.  

Redaktion: Was ist Ihnen besonders wichtig beim Komponieren?
Gerald Schwertberger: Ich denke nicht nur an das reguläre Publikum, sondern auch an die unfreiwilligen Zuhörer der Übenden und an die jeweiligen technischen Voraussetzungen der Musizierenden (Kinder, Studenten und Berufsmusiker). Ich komponierte anfangs überwiegend für Gitarre, Klavier und Blockflöte, und das meist „nach Maß“, also für ganz spezielle, oft schulische Situationen. Weiters schreibe ich auch Werke für Soloinstrumente und Klavierbegleitung und für Jugendensembles. Wenn sich Kinder mit Musik beschäftigen, dann muss das Musik sein, die nicht abstößt. Das Optimum ist eine Melange aus Praktikabilität und Verständlichkeit, aber ein „Stempel“ unserer Zeit  darf auch nicht fehlen. Auch Humor mit musikalischen Mitteln ist wichtig bei mir.  

Redaktion: Was für einen Stellenwert hat das Publikum für Sie?
Gerald Schwertberger: Der Zuhörer soll unmittelbar angesprochen, aber eben doch nicht mit Banalitäten abgespeist werden. Er soll spüren, dass es in der Musik ein Handwerk gibt, das die Qualität der Verarbeitung gewährleistet. Ich kleide gerne Bekanntes in verschiedene Stile. Ich finde, der musikalische Humor ist eine „todernste“ Sache, weil er Lebensenergien aktiviert, unser Immunsystem stärkt. In der “todernsten Musik“[1] wird Humor aber nur abwertend betrachtet, großartige Werke dieser Art werden vom „Musikbetrieb“ ignoriert.

Redaktion: Was sagen Sie über das Schöne in der Musik?
Gerald Schwertberger: Ich mache gern Schönes. Allerdings  ist „das Schöne“ ein heikler Begriff. Er scheint zum Beispiel stark Dissonantes auszuklammern. Atonales wird meist automatisch als Chaos wahrgenommen. Dem Hörer muss es auf jeden Fall nachvollziehbar sein, wenn sich Kompositionen dieser Mittel bedienen.

Man kann auch mit Klischees, sogar mit Kitsch, humor- und lustvoll spielen. Die Mittel, die ich verwende, müssen dem Hörer jedenfalls verständlich sein. Bevor jemand als „Hörer“ aufnahmebereit in einem Konzert sitzt, ist er sowieso gestresst  von den vielen kleinen und großen  Problemen des Alltags. Daher werde ich ihn nicht auch noch mit Musik nerven. Die „scharfen“ Mittel von nicht tonaler Musik verbrauchen sich übrigens ohnehin längst bis zur beliebigen Austauschbarkeit. Und Belanglosigkeit in der Musik ist das Schlimmste. Viele Komponisten rechnen mit einer übergroßen  Toleranz der Hörer, die sich nicht mehr auf ihr eigenes Urteil zu verlassen trauen.  

Redaktion: Was sagen Sie zur Entwicklung der Musik in den letzten 100 Jahren?
Gerald Schwertberger: Alle Mittel sind bereits ausgeschöpft worden. Die Populärmusik zeigt: Auch mit einfachsten Mitteln kann man etwas erfinden, wenn man kreativ ist, man kann sich beschränken auf ganz wenige Mittel, um damit Neues zu sagen. Strawinsky hat das so ähnlich in seiner musikalischen Poetik formuliert.

Ich mache ganz aber gerne ab und zu nicht für die Öffentlichkeit bestimmte Sachen, ein experimentelles Herumtollen, bei dem man manch Brauchbares entdecken kann, das man aber einem Publikum nicht zumuten möchte. Aber in unserem System wird genau das gefördert, das Hörerbezogene wird diskriminiert. Die Szene ist verlogen, keiner vertraut mehr seinem eigenen Urteil.  

Redaktion: Was war Ihr größter musikalischer Erfolg?
Gerald Schwertberger: Am erfolgreichsten sind meine beim Verlag Doblinger erschienenen Gitarrehefte, und davon wieder das Heft „Latin America“.  Bei drei Wettbewerben für jugendgemäße Musik war ich erfolgreich (ORF, ZdF, Österreichischer Komponistenbund).  An den Wettbewerb „Das neue Lied“ (1969) haben sich dann verschiedene Aufträge angeschlossen. Zwei Messen sind aufgeführt und übertragen worden (1969 und 1972). 

Es freut mich besonders, wenn es junge Menschen nicht satt bekommen, meine Sachen zu üben, wie die Mitglieder des Jugendkammerorchesters „Divertimento Musicale“ von Susanne Heidrich oder in diesem Jahr die Schüler einer Klasse der Musikhauptschule Währing, denen ich ein Musical „nach Maß“ geschrieben habe. Viele meiner praxisbezogenen Stücke und Arrangements finden sich in einheimischen und ausländischen Lehrwerken und Sammlungen sowie auf CDs.  

Redaktion: Könnten Sie unseren Lesern eine Anekdote aus Ihrer musikalischen Laufbahn erzählen?
Gerald Schwertberger: Es war in St.Pölten. Ein Klassenkollege, der auf Lampenschirmen und mit diversen Utensilien Schlagzeug geübt hatte,  war als Schlagzeuger beim Polizei-Tanzorchester akzeptiert worden, und weil man auch noch einen Bassisten suchte, nahm er mich einfach zu einer Probe mit und stellte mich als Bassisten vor  Obwohl ich noch nie Bass gespielt hatte, versuchte ich auf dem großen Instrument mitzuspielen -  und wurde so Mitglied des Orchesters. Als 17jähriger bin ich nun mit Polizeiuniform zu den Engagements unterwegs gewesen, für die Blasmusikbesetzung habe ich auch Trompete gelernt. Mitten in der Nacht bin ich oft mit dem Moped meiner Mutter viele Kilometer nach Hause gefahren.  

Redaktion: Danke für das Gespräch.

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[1] Anspielung an den Begriff der „Ernsten Musik“ (E-Musik), zur Unterscheidung von der „Unterhaltungsmusik“ (U-Musik). Was ist „E“, was „U“? Die Frage ist ein Dauerbrenner in der riskanten Diskussion um „wertvolle“ und „wertlose“ Musik und wie sie finanziell abgegolten werden sollen.

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